Montag, 6. November 2006

Der Professor und seine Ministerin (II): Der gläubige Professor

Aus dem vorangehenden Text zur „Trennung von Wissenschaft und Glaube“ sollte bereits deutlich geworden sein, dass es hier nicht darum geht, in dem Streit zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus Partei zu ergreifen. Wenn der Autor Partei ergreifen würde, dann auf Seiten der Evolutionsbiologen, weil er, wie diese, davon ausgeht, dass ein übernatürlicher Einfluss auf die Naturprozesse wissenschaftlich nur dann angenommen werden darf, wenn er beobachtet werden kann. Ziel dieser Texte ist vielmehr, einen Versuch, von Seiten der Universitätswissenschaft Einfluss auf die Erziehung heranwachsender Menschen zu nehmen, zurückzuweisen - einen Versuch, der zwar von biologischem Fachwissen getragen ist, nicht aber von Kenntnis der Ziele und Wege der Unterrichtung junger Menschen.

In dem vorliegenden Text soll dieser Mangel hinsichtlich eines weiteren Aspekts der Kritik von Prof. Kutschera an den Äußerungen der Ministerin Wolff aufgezeigt werden.

Die Forderung

Kutschera fordert nicht nur, dass der naturwissenschaftliche Unterricht in allen Fächern rein wissenschaftlich bleiben muss. Er verlangt darüber hinaus, dass „dies von den zuständigen Aufsichtsbehörden sichergestellt werden muss.“

Kutschera stellt diese zusätzliche Forderung auf, um die „weltanschaulich formbaren Schüler“ vor Indoktrination zu schützen. Dies wird auch aus dem ergänzenden Text, den Kutscheras Mitunterzeichner Martin Neukamm veröffentlicht hat, deutlich.

Die Geste

Einen Aufruf Ulrich Kutscheras und mit ihm des Verbandes Deutscher Biologen, Wissenschaft und Weltanschauung im Unterricht streng zu trennen, könnte man als Aufforderung an die Lehrer und Lehrerinnen ansehen, eben so zu unterrichten: in Biologie, Chemie, Physik rein wissenschaftlich zu unterrichten, unter Ausschluss aller weltanschaulichen und religiösen Fragen. Kutschera würde damit in einen freilassenden Diskurs mit den Lehrkräften treten. In diesem Diskurs könnten Kutscheras Ansichten bejaht und verneint, unter fachwissenschaftlichen, wissenschaftstheoretischen, weltanschaulichen und, wie hier im ersten Text geschehen, pädagogischen Gesichtspunkten diskutiert werden.

Kutscheras zweite Forderung unterbindet diesen Diskurs. Er wendet sich deshalb auch nicht an die Lehrer und Lehrerinnen, sondern an die oberste Dienstherrin der Lehrkräfte im Bundesland Hessen, die Kultusministerin. Kutschera will sein Ziel nicht in freier geistiger Auseinandersetzung erreichen, sondern per Dekret. Vertraut er nicht der Überzeugungskraft seiner Ideen und der sie stützenden Tatsachen? Sollte nicht das,was ihm einleuchtet, auch anderen einleuchten?

Anstelle ein Dekret zu fordern, das alles Weltanschauliche aus dem Biologieunterricht ausschließt, könnte er direkt nach Gießen gehen, zu den Schulen, gegen die der Vorwurf des Kreationismus erhoben wurde, und dort in Vorträgen und Diskussionsrunden für die Evolutionstheorie eintreten. Das ist Aufwand. Aber wer sollte denn sonst für die Sache der Evolutionstheorie eintreten, wenn nicht er, ein führender Vertreter dieses Faches in Deutschland?

Kutschera würde es dann machen wie der indische Ökonom Jagdish Bhagwati, der im Jahr 1999, als Proteste die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Seattle lahmlegten, stundenlang mit jugendlichen Demonstranten über die Vor- und Nachteile der Globalisierung diskutierte (NZZ vom 6.11.2006).

Kutschera würde gegen diese Vorhaltungen wohl einwenden, dass er mit solcher Überzeugungsarbeit zwar wohlwollende Zeitgenossen erreichen könnte, nicht aber übelwollende und Dogmatiker. Und um deren Einfluss auf junge Menschen zu reduzieren, darum geht es ihm gerade. Deshalb fordert er das Tätigwerden der Aufsichtsbehörden.

Er muss sich aber fragen lassen, ob das der richtige Weg ist, sein Ziel zu erreichen. Können Lehrer, die unter Zwang unterrichten, gegenüber jungen Menschen die Überzeugungskraft entfalten, die notwendig ist, um fördernd zur Entwicklung des Heranwachsenden beizutragen? Damit wird die Fragestellung wieder zu einer pädagogischen.

Die pädagogische Folge

Wodurch wirkt ein Lehrer auf seine Schüler? Durch jede seiner Gesten, jede seiner Handlungen, durch jedes seiner Worte. Durch sein ganzes Menschsein. Überzeugen kann er seine Schüler nur, wenn er sie als Mensch überzeugt. Es reicht nicht aus, dass ein Lehrer das Richtige sagt. Er muss es auch auf die richtige Weise tun. Und das tut er nur, wenn er voll und ganz hinter dem steht, was er sagt.

Ein Lehrer, der nicht überzeugen kann, kann seine Schüler zwar durch Prüfungsdruck und Noten dazu bringen, sich mit dem zu befassen, was er ihnen beibringen will. Sie werden es lernen – zumindest die meisten von ihnen. Sie werden sich damit aber nicht innerlich verbinden können. Überzeugung ist es nicht, was so entsteht, allerhöchstens angelerntes Wissen. Wissen, das abgerufen werden kann, das aber in keiner Weise mit dem inneren Kern des Menschen verbunden ist.

Auf diese Weise kann man Evolutionstheorie lehren, wie auch Kreationismus. Es ist ganz gleich. Denn welche Rolle spielt es schon für den Menschen, ob er die Evolutionstheorie kennt oder den Kreationismus? Solange es sich dabei nur um angelerntes Wissen handelt – keine. Es ist unnützer Ballast, den der heranwachsende Mensch ins Leben schleppt.

Pädagogisch und damit menschlich wertvoll wird die Evolutionstheorie wie auch die Naturwissenschaft überhaupt erst dann, wenn die Schüler sich mit ihr verbinden können. Wenn sie ihnen hilft, durch den Blick auf die Natur und ihre Tatsachen ihre Subjektivität zu überwinden: „Die Natur zeigt mir die natürliche Entwicklung, egal, ob das meinen Wünschen entspricht oder nicht.“ Wenn sie ihnen zugleich zeigt, wie sie sich als natürliches Wesen als Ergebnis einer langen Reihe von Entwicklungsschritten verstehen können.

Das geschieht aber nicht durch angelerntes Wissen. Und kann nicht durch Lehrer vermittelt werden, die nicht voll hinter dem stehen, was sie lehren. Es kann insbesondere nicht durch Lehrer vermittelt werden, denen per Dekret verordnet wurde, was sie zu sagen haben.

Durch das von Kutschera geforderte Eingreifen der Aufsichtsbehörde im Falle des Einbringen weltanschaulicher Ansichten in den naturwissenschaftlichen Unterricht werden die Lehrer amputiert. Sie können sich dann nicht im erforderlichen Maße mit dem verbinden, was sie zu lehren haben. Noch viel weniger können es dann die Schüler. Sie mögen dann Evolutionstheorie lernen. Aber sie werden die Evolutionstheorie nicht mit ihrem eigenen Wesen verbinden. Das ist nur möglich, wenn die Schüler erleben, wie der Lehrer selbst mit ihren Inhalten verbunden ist.

Die Schüler mögen dann Evolutionstheorie wissen. Aber sie werden nicht Evolutionstheorie wollen. Und welchen Wert ein solches bloßes Wissen hat, mit dem ich als Mensch nicht auch innerlich verbunden bin, müsste Kutschera erst noch untersuchen. Er würde dann feststellen, dass ein bloßes Wissen, mit dem der Mensch nicht auch willentlich verbunden ist, für ihn keinen Wert hat, ihm sogar schadet. Es ist nicht sein Wissen, trägt deshalb auch nichts dazu bei, ihn zu einem freien, selbstbewussten Menschen zu machen.

Einwände

Gegen das soeben Gesagte kann vorgebracht werden, dass die einzige Alternative zur staatlichen Verordnung die freilassende Überzeugungsarbeit ist. Durch sie können Übelwollende und Dogmatiker aber nicht gezwungen werden, das Richtige zu unterrichten. Dem ist zuzustimmen. Es ist aber zu fragen, was schlimmer ist: vereinzelte dogmatische Verirrungen zuzulassen oder umfassend zu verhindern, dass sich Schüler wirklich mit einem Lehrgebiet wie der Evolutionstheorie verbinden können. Letzteres geschieht, wie gezeigt, durch das verordnete Unterrichten. Gerade das, was Kutschera erreichen will, dass die Schüler von der natürlichen Evolution überzeugt werden, kann durch den verordneten Unterricht nicht geschehen. Durch den freien Unterricht, in dem der Lehrer nach Maßgabe seiner Kräfte wirkt, kann es geschehen.

Es kann auch vorgebracht werden, dass das oben geschilderte Zusammenwirken von Lehrer und Schüler ein Ideal ist, dass nirgends verwirklich ist, und deshalb durch eine Verordnung mehr auch nicht Schaden nimmt. Zuzugeben ist, dass es sich um ein Ideal handelt. Wie jedes Ideal lebt es nicht im Sein, sondern im Werden, und wird von denen, die wirklich fruchtbar pädagogisch wirksam sein wollen, angestrebt. Kutschera strebt in genau die andere Richtung. Als geistig Tätiger sollte er es nicht.

Das Resümee

Anstelle den geistigen Kampf wirklich aufzunehmen, ruft Kutschera nach dem Staat. Der Staat soll die Wahrheit dekretieren. Kutschera erweist sich hier selbst als ein einem Glauben Anhängender: er glaubt an die Macht der staatlichen Verordnung anstelle des freien geistigen Diskurses. Dieser Glaube zerschellt an den pädagogischen Tatsachen, an dem, was tatsächlich im Umgang mit jungen Menschen erfahren werden kann. Er ist genauso unbegründet, wie der Schöpfungsglaube der Kreationisten angesichts der Tatsachen der Evolutionstheorie.

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